Edward Thomas

Engel der Tankstelle

Volksbühne Berlin / April 2000

mit Mila Bruk, Karin Mikityla, Karin Ugowski, Gerd Preusche, Jürgen Rothert, Tobias Schulze, Tom Wlaschiha, Oliver Wronka

Bühne: Jan Freese Kostüme: Maria-Alice Bahra
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle
Lydia Bunk Theaterregie Engel der Tankstelle

Fotos: Thomas Aurin

WO DIE WILDEN WALISER WOHNEN

Wales ist auf drei Seiten vom Meer umgeben, viel Wasser ist in der Nähe. Außerdem liegt es etwas abseits. Also hat der Glaube an Elfen, Feen und böse Geister dort gut überleben können. Die Volksbühne hat im dritten Stock eine Spielstätte für kleinere, abgelegenere Produktionen. Außerdem ist ihr Dach nicht sehr dicht und Wasser insofern ebenfalls nahe. Wer weiß im übrigen, ob nicht unter dem Dach des Theaters auch Geister wohnen? Wenn also ein Stück über Wales in der Volksbühne gezeigt wird, ist es dort oben gut untergebracht. Es heißt Engel der Tankstelle, stammt von Edward Thomas und wurde von Lydia Bunk inszeniert. Vier junge Leute am Ende der Welt haben Probleme mit sich, den Eltern, den anderen, mit dem ganzen Leben in diesem öden Kaff. Das deutet sich schon im Treppenaufgang an: „Warum sind Fische stumm?”, steht da schwarz auf weiß geschrieben, „Warum Geld?” und „Wieso ist das so schwierig mit der Liebe?” Im Stück wird s auch nicht einfacher. Eine Familie hat fast einen Sohn verloren, der nur knapp dem Ertrinken entging und seitdem wie Lazarus gefeiert wird. Die andere Familie wohnt schon fast im Meer, das sich ins Land frisst und kräftig an ihrem Häuschen leckt. Das Bühnenbild von Jan Frese besteht zur einen Hälfte aus einem grässlichen Wohnzimmer mit Sofa, Kühlschrank und Fernseher, zur anderen aus einem Sandhaufen mit tief eingesunkenem Schrank und abgesacktem Ehebett. In diesem Buddelkasten samt schlechter Stube lässt sich ansehnlich spielen. Wie in alten Sagen hat die Handlung viele wunderliche Verästelungen und starke, atmosphärische Momente. Die Kinder beider Familien sind ähnlich gekleidet, trinken Bier, kiffen und fahren am liebsten nachts Auto. Ace vom Meer (Tobias Schulze) verliebt sich in Bron von der Tankstelle (Mila Bruk), obwohl seine Mutter ihren Bruder irrtümlich erschossen hat, was aber sonst keiner weiß. Vielleicht auch deswegen traut er sich nicht, seine Auserwählte zu küssen, die schon freudig die Lippen schürzt und die Arme ausbreitet. Marshall (Tom Wlaschiha) wird von seinem Bruder Bri (Oliver Wronka) mit dem Kopf in ein Aquarium getaucht und schildert würgend und prustend und mit großem Lungenvolumen, wie er einst fast ertrank und welche Geister ihn seitdem verfolgen. Aber Engel der Tankstelle ist ein Jugendstück für die ganze Familie, weshalb auch die älteren Volksbühnen-Recken kräftig mitmischen dürfen. So thronen Gerd Preusche und Karin Mikityla ungezwungen in ihrem Bett an der Sandküste, nachdem sie sich aus einem Berg zerknüllter Zeitungen gestrampelt haben. Sie brechen eine Lesebrille entzwei, weil sie sich nicht einigen können, wem diese gehört, und lesen dann mit je einem Glas im Altpapier herum. Die Szenen gehen munter fließend ineinander über und sind hübsch komisch angerichtet. Die Inszenierung hat etwas surreal Abgehobenes und hält den leichten, verträumten Erzählton bis zum Schluss durch. (…)

(Berliner Zeitung)